Erkenntnisse aus der Betrachtung politischer Bilderwelten
Comicforschung darf sich nicht auf die Recherche beschränken, welcher Künstler wann was gezeichnet hat und welche Geschichte wann und wo erschienen ist. Ansonsten würde sie sich im sprichwörtlichen Elfenbeinturm bewegen. Die soziale bzw. gesellschaftliche Relevanz von Comics muß ein wichtiges Kriterium der Forschung sein, um die wahre Bedeutung der Comics, ob zum Schlechten oder Guten, zu ermitteln. Die Herausarbeitung und Bewußtmachung dieser Bedeutung ist eine wesentliche Herausforderung für die Comicforschung. Und dies um so mehr, als alle anderen, mehr oder weniger wissenschaftlichen Fächer und Institutionen Comics in aller Regel ignorieren und damit einen Bereich sozialer Wirklichkeit ausblenden - von wenigen Ausnahmen abgesehen.
Comics werden in erster Linie als kommerzielle Unterhaltungsware, oft im Verbund mit anderen Erscheinungsformen, wie Filmen und Computerspielen, wahrgenommen. Dabei leisten sie als Medium sehr viel mehr. Sie können als Kommunikationsmittel z.B. Meinungen, Wünsche, Bedürfnisse, Selbstdarstellungen, Feindbilder usw. transportieren.
Hier lohnt es sich, bildlich gesprochen, auch links und rechts neben den Tellerrand zu schauen. Gerade gesellschaftliche Randgruppen, die sich selbst oder ihre Themen in den etablierten Medien verfälscht oder gar nicht vorzufinden glauben, produzieren ihre eigenen Kommunikationsmittel (Stichwort: Alternative Kommunikation). Im Bereich der Printmedien sind dies neben Büchern vor allem Zeitungen und Zeitschriften, von fotokopierten Fanzines bis zu Hochglanzmagazinen.
Es ist bekannt und in der Comic-Sekundärliteratur mehrfach dokumentiert, daß linke Randgruppen mit Comics arbeiten. Wie ist es bei rechten Gruppierungen? Ein Blick in die Literatur über Publikationen von Rechts gibt das Bild einer weitgehend comic-freien Drucklandschaft wieder. Entsprechend antworten Archive auf Suchanfragen. Die Antifaschistische Informations-, Dokumentations- und Archivstelle München (a.i.d.a.) sammelt seit 15 Jahren Material von rechten Gruppen - von Skinhead-Fanzines bis hin zur "Deutschen Stimme", der Zeitung der NPD. Nach eigenen Angaben haben sie keine Comics. Tatsächlich befinden sich aber in zahlreichen Fanzines und auch in der "Deutschen Stimme" Comics. Daraus läßt sich schlußfolgern, daß die Angesprochenen, die zum Thema "Rechte Presse" arbeiten, offensichtlich das Originalmaterial nicht in Händen halten oder Comics als solche nicht erkennen und beachten. Das ist insofern fatal, da über Comics Informationen über die "Macher" gewonnen werden können.
Im Dezember 1993 brachte der ORF zahlreiche Fernsehberichte über die Briefbombenattentate der "Bajuwarischen Befreiungsarmee" (Franz Fuchs) in Österreich. Als Täter kam die "Volkstreue außerparlamentarische Opposition" (VAPO) in Verdacht. Ihr wurden gemeinsame Aktivitäten mit anderen militanten neonazistischen Gruppen in Deutschland nachgesagt - was von Seiten des deutschen Bundesverfassungsschutzes bestritten wurde. Ein Kontakt zur rechtsextrem Szene Frankreichs kam nicht zur Sprache... hätte aber durch Comic-Abbildungen auf VAPO-Propagandamaterialien belegt werden können.
Comics der rechten Szene liefern Indizien über das Gedankengut ihrer Macher und die Positionierung innerhalb des politischen Lagers sowie über Identifikationsmöglichkeiten für Leser. Eine Recherche und Evaluation der Comics könnte an den Tag bringen, wie ausdifferenziert die rechte Szene ist - von der Aneignung importierter Comicfiguren ("Superman", "Simpsons", "Asterix" etc.) bis hin zu ihrem Boykott. Alle diese Erkenntnisse sind wichtig und hilfreich, um die rechte Szene und ihre Vertreter richtig einschätzen zu können, und damit auch z.B. die Bedrohung der Gesellschaft.