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Tagung
Abstract
Thomas Becker
Comic - eine
illegitime Kunst?
Der Begriff "illegitime Kunst" stammt
aus der deutschen Übersetzung von Pierre Bourdieus Buch über die Fotografie. Im
französischen Original wird die Fotografie indes l'art moyen genannt; denn in der
Feldsoziologie Bourdieus gibt es keine illegitime ästhetische Erfahrung. Er nennt zwar die vom
Feld der Macht anerkannte Kunst "legitim", da sie ihre Weihe in Museen und durch
akademisch geschulte Kunstkritiker gefunden hat. Aber der Titel illegitime Kunst würde
die Aneignungsart des im Machtfeld anerkannten kulturellen Kapitals zum Monopol der
Legitimität verklären.
Bourdieus Feldtheorie ist die erste Soziologie, die nicht allein in der Massenproduktion einen genuin
soziologischen Gegenstand sieht, sondern ebenso in dem sich gegen die Massenproduktion
abgrenzenden Markt der symbolischen Formen. Deren Analysen machen erst den permanenten
Konflikt um Legitimität kultureller Produktionen sichtbar. Bourdieus Beschreibung des Comics
fällt in den "Feinen Unterschieden" allerdings äußerst kursorisch aus.
Sein damaliger Schüler und heute anderweitig bekannte Luc Boltanski hat dies in einer Studie
des französischen Feldes für die Periode der 1960er Jahre bis Ende der 1970er Jahre
nachgeholt. So steht spätestens in den 1970er Jahren u.a. der profitorientierten
Massenproduktion ein Pol der symbolischen Produktion mit geringer Auflagenzahl, aber hoher
Eigenverantwortung des Künstlers für Innovationen gegenüber.
Die nachfolgende Entwicklung mit der Entstehung der so genannten Nouvelle BD (Trondheim,
Menu, David B., Killofer, Sfar, Satrapi etc.) der 1990er Jahre unter der Regie einer Reihe von
unabhängigen Verlagen für Autorencomics wie etwa Cornelius, Ego comme X und
insbesondere Association setzt die Differenzierung in der zweiten Generation in verstärktem
Maße fort. Dasselbe gilt aber auch für die USA, wo nach Robert Crumb und Art
Spiegelman mit Chris Ware nun sogar die dritte Generation an Undergroundproduzenten existiert, die
nicht den Massenmarkt bedient. Hat also diese zunehmende Differenzierung des Feldes dazu
beigetragen, dass der Comic eine legitime Kunst genannt zu werden verdient?
Für die Beantwortung dieser Frage muss man jedoch berücksichtigen, dass eine
Ausstellung wie etwa die des Museums Ludwig ebenfalls einen sozialen Akt der Legitimierung
darstellt, da es die Integration eines ehemaligen Underground-Comicautor in den legitimen
Geschmack des Machtfeldes zu betreiben versuchte, indem vornehmlich die späten
"renaissanceartigen" Einzelstudien Crumbs ausgestellt wurden. Solche Praktiken passen
die Angriffe des Undergrounds auf den herrschenden Geschmack der im Machtfeld kanonisch
gewordenen Kunstgeschichte an und müssen daher eine normalisierende Legitimation
genannt werden. Normalisierungen zielen auf die Kollaboration von populärem und legitimem
Geschmack zur Abwehr sozialer Konflikte um die Legitimität des kulturellen Kapitals im Feld der
Macht.
Historisch gesehen entstand in den USA der 1960er Jahre die erste Gegenpresse des 20.
Jahrhunderts, welche die Normalisierung der Kommunikation kritisierte und somit die Bedingung
für einen symbolischen Markt des "Comic-Underground" schuf. Dieser versuchte
seinerseits, sich inhaltlich und formal von einer normalisierten Bildproduktion in den Massenmedien
abzugrenzen. Eine autonomisierende Legitimierung des Comics vergisst dieses Dispositiv
(resp. Regel bildende Geschichte) einer Comicavantgarde nicht, sondern arbeitet sie in ihre
symbolische Formbildung ein: Die aktuelle Avantgarde (Shaun Tan, Chris Ware, David B., Julie
Doucet, Marjane Satrapi, Ioan Sfar u.a.) verteidigt den Eigenwert ihres Mediums, indem sie gerade die
inzwischen in die Comicproduktion selbst eingegangene Doppelcodierung von Kritik und
normalisierender Bildkultur reflektiert und sichtbar macht.
Copyright (c) 2008
Verlag Sackmann und Hörndl
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