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Von 1800 bis 1918
Die Bild-Erzählung wandte sich ursprünglich allein an Erwachsene. Erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts erkannten die Verlage zunehmend "das Kind" als Zielgruppe. Die humoristischen Zeitungsbeilagen in den USA um 1900 erbten nicht nur diese Ambivalenz, sondern auch formale Vorgaben aus der Alten Welt.
Wurde der deutsche Comic mit Wilhelm Buschs "Max und Moritz" "geboren"? Natürlich nicht. Ein kleiner Ausschnitt aus der Menge der Publikationen zeigt, wie sich die Bild-Erzählung vor 1865 entwickelt hat und welche Vielfalt an Stilen um die Mitte des 19. Jahrhunderts herrschte.
Zeitgleich mit den ersten Bildergeschichten-Entwürfen von Rodolphe Töpffer, nämlich im Jahr 1827, entstand in Deutschland die Sequenz einer Reiseschilderung. Sie war das private Zeichen-Tagebuch des "Malerbruders" Ludwig Emil Grimm und wurde seinerzeit nicht veröffentlicht.
Der Genfer Rodolphe Töpffer wird dem frankophonen Teil der Comic-Historie zugeschlagen und soll von daher hier nicht im Detail behandelt werden. In unseren westlichen Nachbarländern wird Töpffer als Pionier und Wegbereiter der Bild-Erzählung gehandelt. Demgegenüber war die Wirkung seiner Ideen im deutschsprachigen Raum nur gering.
Addenda
Die im 19. Jahrhundert eingeführte Reproduktionstechnik des Holzstichs brachte es in der Regel mit sich, dass beim Übertragen der Zeichnung auf den Holzstock das Original zerstört wurde. Die jetzt aufgetauchte Vorskizze zu Kaspar Brauns Bilderbogen "Der Gockel" ist von daher eine Seltenheit.
Traditionell sind die seit dem 15. Jahrhundert verbreiteten Totentanzdarstellungen additiver Natur. Anders eine von Alfred Rethel 1849 geschaffene Bildfolge mit zeitgenössischen Bezug, die ihrerseits die Totentanz-Zyklen von Eduard Ille (ebenfalls 1849) und von Richard Schwarzkopf (1936) prägte.
Graf Franz von Pocci war eine der schillerndsten Figuren am Hof des Bayerischen Königs Ludwigs I. und dessen Sohns Max II. Man nannte ihn auch den "Kasperlgrafen", aber das war nett gemeint. Mit seinem "Staatshämorrhoidarius" schuf Pocci 1845 eine frühe Bildergeschichte des 19. Jahrhunderts.
Die Bild-Erzählung nimmt zuweilen Formen an, deren Sequentialität sich nur bei näherer Betrachtung erschließt. Das gilt auch für eines der Hauptwerke Moritz von Schwinds, "Die sieben Raben", in dem - wie zuvor schon in den Bildfolgen des Mittelalters - architektonische Elemente eine "Panelstruktur" andeuten.
Wenn der Zeichner und Autor Carl August Reinhardt heute noch Beachtung findet, so in erster Linie als Schöpfer von Kinderbüchern. Die Karikaturen und Bildgeschichten des geborenen Sachsen treten demgegenüber in den Hintergrund. Sie sind allerdings in weiten Teilen auch kaum noch greifbar.
Der Münchener Lothar Meggendorfer steckte voller ungewöhnlicher Ideen, er war zu Zeiten eine Berühmheit. Aber Meggendorfer hat auch Tiefen erlebt, an denen er nicht immer unschuldig war. Heute ist der Zeichner nur noch durch die Meggendorfer Blätter und durch seine Spiel-Bilderbücher bekannt.
In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts profitierte die Bild-Erzählung vom Aufkommen der illustrierten Presse. Die ihrerseits erfuhr durch Eisenbahn und Dampfschiffahrt eine überregionale Verbreitung. Auch die zeitgenössischen Comiczeichner begaben sich auf Reisen.
Im 19. Jahrhundert hatte sich der Zeichner von Bildergeschichten den Vorgaben der Technik unterzuordnen - und den Vorstellungen seines Verlegers. Der vermarktete das Ausgangsmaterial, wie es ihm gelegen kam. Caspar Braun war vielleicht der erste, der die Mehrfachverwertung zum Geschäftsmodell erhob.
Wer Erfolg hat, muss damit rechnen, dass sich andere mit Nachahmungen an diesen Erfolg anzuhängen versuchen. Fehlende Urheberrechtsbestimmungen erlaubten es dem amerikanischen Massenverlag der McLoughlin Bros. um 1900, Werke von Wilhelm Busch nach eigener Manier zu "verarbeiten".
Die von Christian August Vulpius, dem Schwager Goethes, ersonnene Romanfigur des Räuberhauptmanns Rinaldo Rinaldini trieb nicht nur in der Volksliteratur des 19. Jahrhunderts ihr Unwesen; sie fand über das Volkslied auch Zugang zum Bilderbogen und traf in den 1950er Jahren sogar auf die Digedags.
Nackte Wilde im Bastrock, die sich entweder extrem feindselig oder anbiedernd und tölpelhaft verhalten - das Klischee der Darstellung von Schwarzafrikanern im Comic hat seinen Ursprung in der Arroganz und Herrschsucht des raubgierigen Europa. Deutschland "besaß" von 1884 bis 1918 Kolonien in Afrika.
Anfang des 20. Jahrhunderts, lange nach Beendigung seines Bildergeschichtenwerks, stand Wilhelm Busch in Deutschland in hohen Ehren. Zu seinen "runden" Geburtstagen brachten die satirischen Zeitschriften "Busch-Nummern" heraus - die "Lustigen Blätter" 1902 und der "Simplicissimus" 1907.
Der Erfolg stellt sich manchmal ganz unverhofft ein. So auch bei dem Österreicher Carl Storch (1868-1955), einem langjährigen Mitarbeiter der Fliegenden Blätter. Mit der Serie "Puk en Muk" genießt er im niederländischen Raum große Popularität, während sein Name hierzulande fast vergessen ist.
Addenda
Anfang des 20. Jahrhunderts hatten nicht wenige deutsche Tageszeitungen humoristische Wochenend-Beilagen, vergleichbar etwa den Comic Supplements in Amerika. In diesen Beilagen gab es auch überregional verbreitete Comic-Serien mit stehenden Figuren, so zum Beispiel das von mehreren Zeichnern geschaffene "Professor Münchhausen".
In einer Zeit, in der Deutschland sowohl politisch als auch kulturell in der Welt Fuß zu fassen versuchte, schuf der Düsseldorfer Carl Maria Seyppel eine Folge von "alt-ägyptischen" Bildergeschichten. In ihnen mischte er traditionell gereimte Verse mit einer phantasievollen, den antiken Vorlagen abgeschauten Bildgestaltung.
Seit den 1890er Jahren war der für die Berliner Lustigen Blätter arbeitende Franz Jüttner einer der führenden Karikaturisten im Deutschen Reich. Dass er heute kaum noch bekannt ist, lag an wechselnden Moden, am Ersten Weltkrieg und an der nachlassenden Konstitution des Zeichners.
Mit dem 1878 entworfenen und 1881 als Radierfolge veröffentlichten Zyklus "Ein Handschuh" schafft der Leipziger Max Klinger einen Prototyp moderner Bild-
Erzählung. In seiner zwar sprunghaft, aber dennoch narrativ-sequentiell angelegten
Struktur weist dies auf die Entwicklung von Comics im 20. Jahrhundert voraus.
Comics sind nicht nur in Zeitungen und Zeitschriften, nicht nur als Heft oder
Buch erschienen, sondern auch in ungewohnt "loser" Form auf Sammelbildern, Reklamemarken oder Ansichtskarten. Die Liebig-Sammelbilder standen womöglich am Anfang dieser Entwicklung.
War "Superman" der erste Superhelden-Comic? Ganz offensichtlich nicht. Bereits 1902/03 zeichnete Wilhelm Heinrich Detlev Körner für die Chicago Sunday Tribune den Strip "Hugo Hercules". Und die Lambiek Comiclopedia verweist auf eine noch ältere Version des Genres.
Addenda
Ein herausragender Zeichner war er nicht; seine Comics gehören auch thematisch zur Gebrauchsliteratur. Interessant ist Johann Bahr aber schon allein deswegen, weil er alle Publikationsmöglichkeiten seiner Zeit zu nutzen verstand. Seine Arbeiten finden sich nicht nur im Reichsgebiet, sondern auch im Ausland.
Im Alter von 16 Jahren kam der junge Feininger 1887 nach Deutschland, um Musiker zu werden. Die Umstände ergaben, dass er sich statt dessen auf die Bildenden Künste verlegte. Für die Witzblätter der Zeit zeichnete der Amerikaner schon früh auch Bildergeschichten; er blieb aber unberührt von den modernen US-Comics.
Die Bilder, mit denen Siegfried Horn 1895 das antisemitische Pamphlet "Das Lied vom Levi" illustrierte, erzählen über weite Strecken eine eigene Geschichte. Während der Autor Eduard Schwechten allgemein gegen die Juden wettert, begleitet Horn deren Personifizierung in der Figur des Levi von dessen Geburt bis ins Alter.
Wenige Monate vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs entlarvte der Simplicissimus in einer besonderen Ausgabe den Wahnsinn der deutschen Kriegsstrategie. Auch formal fiel diese Nummer aus der Reihe: Aneinandergereiht ergeben die Illustrationen des Hefts eine Bildergeschichte.
Im Jahre 1906 engagierte die "Chicago Tribune" eine Reihe bekannter deutscher Zeichner, um die Comicbeilage der Wochenendausgabe zu gestalten. Was mit viel gutem Willen begonnen hatte, erwies sich binnen kürzester Zeit als katastrophale Fehlkalkulation.
Eckart Sackmann:
Während die von Lyonel Feininger für die "Chicago Sunday Tribune" geschaffenen Comics seit den 1970er Jahren immer wieder nachgedruckt werden, kennt kaum jemand die Arbeiten von Feiningers deutschen Kollegen an diesem Projekt. Dabei lassen sich gerade hier überraschende Entdeckungen machen.
Keine große Beachtung fand bisher eine vor dem Ersten Weltkrieg in Stuttgart verlegte Publikation mit dem Titel die Kinderwoche (später: Die Jugendwelt). Hier finden sich zahlreiche schön gezeichnete Bildergeschichten, darunter sogar eine mit Stehenden Helden: "Plim und Plum".
In den 1920er und 30er Jahren war Paul Simmel einer der bekanntesten deutschen Karikaturisten. Er wirkte stilbildend für viele, die ihm nacheiferten. In seinem überwiegend aus Cartoons bestehenden Werk finden sich auch Comics, darunter zwei längere Serien.
Mit Beginn des 1. Weltkriegs änderten die deutschen Witzblätter ihre Ansage. Statt satirisch-humoristisch Kritik am Kaiserreich zu üben, stieß man nun unisono ins Horn der Propaganda. Verlag und Redaktion der Berliner Lustigen Blätter taten das nicht uneigennützig. Für sie war der Krieg ein gutes Geschäft.
Mit Kaiser Wilhelm II. erlebte das Kaiserreich eine zunehmende Militarisierung. Nach dem Sieg von 1870/71 galt der Krieg als erstrebenswert. Als er 1914 "ausbrach", ging auch der Kinderbuchverlag Jos. Scholz in Mainz unter die Anheizer. Einer seiner Zulieferer war der Illustrator Arpad Schmidhammer.
Zur Kaiserzeit galt es als selbstverständlich, dass ein Junge sich für das Militär begeisterte. Die Militarisierung der Jugend setzte sich auch dann fort, als der Erste Weltkrieg ausbrach und die Verleger von Kinderbüchern darin eine Chance erblickten, mit dem verbreiteten Patriotismus Kasse zu machen.
Schützengrabenzeitungen gehören zu jenen Presse-Erzeugnissen, die heute fast vollständig aus dem Blick des mediengeschichtlichen Interesses verschwunden sind. Die hier publizierten Bildergeschichten entstanden oft unter einfachsten Bedingungen und sind von sehr unterschiedlicher Qualität.
Wir können uns heute kaum noch vorstellen, mit welcher Begeisterung die Deutschen 1914 in den Krieg zogen. Dem Ruf nach Patriotismus folgten auch viele derjenigen Künstler, die dem Kaiserreich bis dahin kritisch gegenübergestanden hatten. Nicht nur ums Vaterland ging es, auch um viel Geld für clevere Verleger.
Andreas Teltow:
Wir behandelten die Reihe der "Bunten Kriegsbilderbogen" in "Deutsche Comicforschung" 2008. Bereits 1999 erschien in einem Katalog des Stadtmuseums Berlin eine Abhandlung über den Verlag Troitzsch. Hier nun Teile jenes Textes, die das Selbstverständnis des Produzenten der Kriegsbilderbogen widerspiegeln.
Während des Ersten Weltkriegs machten der deutsche Kaiser und sein Kronprinz als Witzfiguren in einem englischen Sprechblasenstrip Furore. W. K. Haseldens "Big and Little Willie" gilt als der früheste britische Zeitungscomic. Dabei griff der Zeichner zeitweise auch auf Wilhelm Buschs "Max und Moritz" zurück.
Vor 1935 beherrschte ein Maler und Grafiker Deutschlands Tages- und Wochenzeitungen: Walter Trier. Bis heute wird er als Kästner-Illustrator gefeiert und geliebt, doch dass er schon viel früher ganz anders konnte - auch das, was man heute Comic nennt -, wissen nur die wenigsten.
Mit "Tobias Seicherl" erschuf er den vermutlich ersten politischen Tagesstrip der deutschsprachigen Comicgeschichte. Auf die politische Dimension der Frühzeit dieses Strips ist der Wiener Ladislaus Kmoch denn auch stets reduziert worden. Doch sein Werk ist vielschichtiger; es reicht weit über "Seicherl" hinaus.
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